zum 175. Todestag von Christian Friedrich Samuel Hahnemann

Homöopathie ist angewandte Dialektik – ein Herleitungsversuch aus aktuellem Anlass

„Die Philosophie ist nicht nur die höchste aller Wissenschaften, sondern auch die Basis und das Element aller andern. Ohne Philosophie kann keine Wissenschaft bestehen, sondern sie sinkt zum Handwerk oder wenigstens zur Hilfsdisciplin herab! Vor allem aber die Medicin!“

Samuel Hahnemann

Eine Philosophie der Spätaufklärung gibt es im eigentlichen Sinne nicht, hier könnte man sich im deutschen Raum vielleicht noch auf Fichte (1762-1814), Hegel (1770-1831) oder Schelling (1775-1854) stützen. Eine Homöopathie im philosophischen Umfeld der Spätaufklärung mag da begrifflich schon angebrachter sein. Doch um Begriffe soll es innerhalb eines gesellschaftlichen Umbruches nicht vorrangig gehen, der eingeleitet durch die Französischen Revolution 1789, die Selbsterhebung Napoleons zum Kaiser 1804, die Völkerschlacht 1813, den Wiener Kongress  1815, die Juli-Revolution von 1830 in Frankreich sowie die Bürgerliche Revolution von 1848/49 in Deutschland so Vieles und so Grundlegendes verändert hat.

Es kam eine Menge dabei und danach unter die Räder, auch Hegels tiefgreifende Betrachtungen zur Dialektik wurden, kaum entstanden, durch Marx, Engels und Feuerbach im Sinne einer materialistischen Dialektik umgeformt. Man meinte noch dazu, sie vom „Kopf auf die Füße“ gestellt zu haben. Was darauf folgte, war die Begründung der Naturgegebenheit des Klassenkampfes auf der Grundlage einer dafür passend zugerichteten Denkweise. Schlimmer aber noch, Hegel wurde letztlich für Bemühungen, die Irrationalität in seine philosophische Gedankenwelt einzuschließen, in völliger Verkennung von Ursache und Wirkung durch Karl Popper (1902-1994) geziehen, den Faschismus Tür und Tor geöffnet zu haben.

Die aus der Antike aufscheinende Dialektik, die uns heute allen so wichtig wäre, bei der Bewältigung natur- und geisteswissenschaftlicher sowie weltanschaulicher Auseinandersetzungen, nicht minder aber auch bei der Klärung allgemeiner Lebensfragen, liegt damit seit über 100 Jahren auf einen Minenfeld und es werden zuallerletzt ehrgeizige Philosophen sein, die sie, verletzt an einem ihrer wichtigsten Gliedmaßen, dort herausholen oder gar weiterentwickeln.

Insofern müssen das wohl Menschen betreiben, die elementar an der Anwendung der durchaus hoffnungsvollen Ansätze des 18. und frühen 19. Jh. interessiert sind und nicht monetär; Menschen, die aus dem praktischen Interesse ihres Arbeitsgebietes oder ihrer Weltanschauung an einer Verfeinerung und Implementierung der dialektischen Grundkenntnisse in die eigene Methodologie arbeiten. Eine äußere Veranlassung dazu scheint u.a. mit der Neuordnung des Gesundheitssystems im gesamteuropäischen Maßstab gegeben, denn wo spiegelt sich letztlich die Wahrhaftigkeit einer Idee deutlicher, als in der daraus erwachsenden Gesundheit?!

Was sind z.B. die sinnentleerten Effizienzkriterien in der heutigen Medizin anderes, als von Lobby-isten eingebrachte, kapitalbegünstigende Faktoren, die vorgeben, eine finanzierbare Angebotspalette zu erhalten, welche Leben rettet, Lebenszeit verlängert und natürlich Lebensqualität verbessert? Dass diese Kriterien nicht halten, was sie versprechen und eine Individualmedizin praktisch kaum noch möglich machen, wird vielleicht nicht jedem verständlich. Was sollte dagegen einzuwenden sein, teure Verfahren einzuschränken und durch preiswertere zu ersetzen? Wenn man Effizienz mit Verhältnis zwischen Leistung und Erfolg übersetzte und den Erfolg auch wirklich bestimmen könnte, nichts. Wenn man es wirtschaftssprachlich als Verhältnis zwischen Kosten und Ertrag definiert, sehr wohl. Denn plötzlich treten Widersprüche zutage. Ein Ertrag kann betriebswirtschaftlich gerade dann entstehen, wenn das Produkt nicht nachhaltig ist. Bei einer Kapitalkonzentration im pharmazeutischen Sektor von über 70% dürfte es wiederum nicht schwer sein, die Politik davon zu überzeugen, kleine Nebenanbieter mit Scheinargumenten, bürokratischen Auflagen und Nachweispflichten gesamteuropäisch platt zu machen.

Die Homöopathie ist eine Individualmedizin. Sie beruft sich in ihrem Hauptwerk, dem von Samuel Hahnemann (1755-1843) geschaffenen „Organon der Heilkunst“, explizit auf die Dialektik. Dialektik ist die Fähigkeit, Schlüsse und Beweise auf der Grundlage eines auf Aristoteles zurückgehenden Organons und den darin zusammengefassten methodischen Wissen vom Altertum bis in die Neuzeit zu ziehen. Diese Verfahrensweise sichert eine gewisse  Souveränität und Zeitlosigkeit. Erfolge beschert sie freilich nur dann, wenn das Handwerkszeug der Dialektik wirklich beherrscht wird. Daran ermangelt es oftmals und es ist Bescheidenheit angeraten auch und gerade weil Heilung durch den Therapeuten von außen bestenfalls angestoßen von innen und unter unmittelbarer Mitwirkung des Erkrankten aber vollzogen werden muss. Sonst gibt es sie nicht!

Was wirkliche Heilung ermöglicht, lässt die Homöopathie in ihrer Selbsterklärung schnell, sicher, sanft, dauerhaft und freilich ohne Nebenwirkung (eben nachhaltig) zu behandeln, nur durchscheinen. Sie geht vorsichtig, mit kleinster nur denkbarer Dosis und mitsinnig zu Werke. Sie berücksichtigt das besondere Arzt-Patientenverhältnis und die daraus erwachsenden psychologischen Abhängigkeiten. Zu sehr sieht sie sich bei Erklärungsversuchen allerdings noch immer dem zeitbedingten Vokabular ihres Begründers verpflichtet.  Wobei dasselbe so weit entfernt von der Wahrheit nicht sein muss, nur haben sich viele Begrifflichkeiten durch Umbrüche in der Vergangenheit gewandelt und auch die Affinität unserer Grundsinne ist eine andere geworden. Wir befinden uns in einem Prozess. Wir müssen die Variablen dieses Prozesses zu jeder Zeit neu bestimmen und wichten, um damit zuver-lässig arbeiten zu können.  Hahnemanns Sichtweisen – eben weil sie sich auf die Methode der Dialektik berufen – veralten nicht. Sie müssen für die Behandlung und den gesellschaftlichen Diskurs mit seiner Notwendigkeit der Differentiation und Integration aber immer wieder individuell einge-richtet werden. Die Monopolisierung von Wissen, die kommerziellen Interessen dient und durch die gegenwärtige technische und mediale Entwicklung weltweit vorangetrieben wird, kann so einseitig, wie sie sich gegenwärtig darstellt, nur als Gefahr angesehen werden. Dabei darf es zivilisatorisch nicht bleiben!

Dass Hahnemann durch seine hervorragende Ausbildung an der Landesschule St. Afra in Meißen dialektisch zu arbeiten verstand und seine gesamte Abhandlung des Organons der Heilkunst diese Dialektik par excellence vorzuführen weiß, ist nichts Überraschendes. Hilfreich war ihm dabei seine außerordentliche Sprachbegabung, die es u.a. ermöglichte, die Werke der antiken Geistesgrößen im Original zu erfassen.  Dass er selbst in den Fußnoten seiner umfangreichen Veröffentlichungen immer wieder darauf zurückkommt, die dialektische Methode in der Natur und Gesellschaft zu begründen, wurde verschiedentlich schon erkannt. Er stellt damit nichts explizit Neues in den Raum, er erinnert nur an  bestehende Gesetze, die es anzuwenden gilt, bezogen auf Körper, Seele, Geist, nicht weniger aber innerhalb der vom Geist geprägten Beziehungen der Menschen untereinander bzw. zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen. Er bindet auf dem Arbeitsgebiet der Medizin am Denken der großen Universalisten seiner und weit älterer Zeit an.

Wenn wir dieser Fährte folgen, wird uns sehr schnell klar, dass die Arbeit mit Ähnlichkeiten dem  dialektischen Prinzip zugehört, was sich bekanntermaßen über die „Negation der Negation“ be-schreibt – ein nicht ganz richtig gedeutetes „Gleiches überwindet Gleiches“.                                         Man wird aber auch gewahr, dass die homöopathische Anwendung der Ähnlichkeit über den Ver-gleich von Symptom- und Arzneimittelbild nicht die einzige ist, die es gibt. Vielmehr sind die aus der Farben- oder Musiktherapie bekannten Wirkungen ebenfalls darauf zurückgehend. Letztlich ist Lautbildung, Sprache, Kommunikation im Tier- und Pflanzenreich ohne Akzeptanz und Anwendung der Ähnlichkeit überhaupt nicht denkbar.

Auch die Arndt-Schulz’sche Regel über die Wirkung von Reizen ist ein der Dialektik zuzuordnendes Instrument. Danach lähmen starke Reize die biologischen Prozesse, mittelstarke hemmen sie, während schwache sie befördern. Wer annimmt, dass diese Regel veraltet sei, weil doch die Anwendung von Antibiotika und Impfstoff in kleiner Dosis kaum wirksam sei, unterliegt einem Irrtum. Diese Mittel heilen auch nicht, sie setzen vielmehr körpereigene Steuerungsvorgänge aus,  die in einigen Fällen hätten selbstzerstörerisch werden können. Es stellt sich allerdings die Frage, ob sie dann auch dazu führen, neue positive Strukturen zu schaffen. Die gegenwärtige Politik bietet uns genügend viele Beispiele, die beweisen, welch großen Schaden selbstherrliche, hegemonistische Eingriffe in uns fremden, z.B. ethnischen Kulturen bewirken.

Letzteres führt uns zur geschichteten biokybernetischen Struktur unserer durch Gehirn- und Nervenzellen bestimmten Sinneswerkzeuge und es führt vereinfachend zum bekannten Regelkreis, in dem sich Störgröße und Regeleinrichtung antagonistisch gegenüberstehen. Antagonismen wiederum sind der Hauptgegenstand der Dialektik. Im Kontext der Dialektik wird der Begriff im Sinne sich polar gegenüberstehender Gegensätze verwendet, was ein weiteres Indiz dafür ist, dass unsere Einordnung der Vorgänge richtig ist. Wir sollten aber nicht glauben, dass sich komplexe Steuerungsvor-gänge in einem dualen Modell ganzheitlich abbilden lassen.

Allein aus Effektivitätsgründen, aber auch wegen des Überlastungsschutzes für die sensiblen Zellen, kann es in der Natur andererseits nicht um Menge, sondern muss es um Qualität gehen. Die Natur in ihrer Überfülle geizt, wenn man sie lässt, nicht an effektvollen Reizen, sie geizt an Einfallslosigkeit und Monotonie. Insofern ist es nur natürlich, dass pharmazeutische Wundermittel die auf Masse setzen, sehr bald an Wirkung verlieren, mehr noch – destruktiv werden.

Elektromagnetische Schwingungen, die jeder Erscheinung anhaften, erzeugen das Spielfeld für Krankheit und Heilung.  Dabei geht es nur am Ende um Materialisiertes, Statisches, um sogenannte Pathologien. Am Anfang geht es um Ladungsträger, die sich frei bewegen, gelegentlich binden und bei der Kreuzung von elektrischen bzw. magnetischen Feldlinien mechanisch Muster bilden. Derartige Musterbilder sind die Grundlage unseres biologischen Lebens. Sie werden als Sinnes-eindrücke quasi gescannt und bilden die Schlüssel für elektrochemische Schaltvorgänge an den Synapsen, die evolutionär angelegt sind aber bei der frühkindlichen Reifung im Gehirn erst entfaltet werden müssen. Man kann davon ausgehen, dass die Schaltung der Synapsen sowohl auf rationalen wie irrationalen Musterbildern aufbaut, wobei nicht gesagt sein soll, das rational „plus“ und irrational „minus“ bedeutet, solche Wertungen begrenzen unseren Horizont.  Dialektisch betrachtet sind Erkrankung und Genesung faktisch gleichwertig. Das eine wie das andere ist weder nur gut noch schlecht. Beide Seiten braucht es, der Spannung wegen, die das Leben voran treibt und im abstrakten Sinne für die Erkenntnis.

Mehr zu wissen über Schwingungen und elektrochemischen Reizleitungssysteme ist das eine, um das natur- und geisteswissenschaftliche Wesen der Dialektik zu verstehen. Das Wasser als Trägersubstanz vielfältiger Informationen zu erkennen und sich dazu der neuesten Forschungen zu sogenannten Ausschlusszonen an hydrophilen Grenzflächen und Inhaltsstoffen zu vergewissern, ein neues Kapitel. Der amerikanische Professor Gerald W. Polack hat hierzu Pionierarbeit geleistet. Seine Unter-suchungen zur Strukturierung von Ladungsträgern an den hydrophilen Wandungen von Flüssigkeits-leitern öffnet uns den Blick. Sie weist auch den Transportwegen der Körperflüssigkeiten einen Platz zu, der über die bisher betrachteten physikalischen und chemischen Vorgänge deutlich hinausgeht. Hier vollzieht sich Informationsspeicherung. Hier beeinflussen sich möglicherweise auch erbliche Informationen aus der DNA mit Informationen, die unser tagesaktuelles Befinden ausmachen in einfachen steuer- und regeltechnischen Abläufen. Die Algorithmen unserer Computer, als Basis gigantischer Herstellungs- und Transportprozesse in aller Welt, bauen, um es noch einmal zu vergegenwärtigen, auf einfachsten Ja/Nein-Fragen auf. Die Muster dieser Algorithmen sind nichts anderes als dialektische Grundmuster, die sich millionenfach dupliziert in technischen Geräten und transplantiert inzwischen auch in vielen menschlichen Körpern befinden.

Wir sollten und müssen uns mit Hahnemann folgerichtig an die Ursachen der individuellen und gesellschaftlichen Entwicklung herantasten, die in der Philosophie der Aufklärung begründet ist und schon mit der Spätaufklärung erste Schwachpunkte ihrer selbst offenbarte. Rousseau z.B. prognostizierte als Ergebnis der Individualisierung eine sich verstärkende Egozentrik. Diese Egozentrik ist auch Wirklichkeit geworden und sie scheint manches Individuum und dessen Umgebung förmlich zu zerbrechen. Der indische Wissenschaftler und Literat Pankaj Mishra erkennt einen sich daraus entwickelnden Zorn in der Gesellschaft und zunehmende Ressentiments gegenüber Entwicklungen, die von Einzelnen und ganzen Gruppen lange ausgeblendet werden. Solche Vorgänge brachial zu bekämpfen, führt in die Sackgasse, wie Kriege keine Lösung für kommunikative Konflikte sind. Hier muss ein Geist der Erkenntnis, Einsicht und Versöhnung walten – ein immaterieller, dialektischer Ausgleich.

Mit der Selbstbestimmung im 19. Jahrhundert wurde das Bewusstsein zur systembildenden Kraft. Dafür war die Mehrzahl der Menschen psychosomatisch unzureichend eingerichtet. Das Instrumentarium „Bewusstsein und Selbstbestimmung“ verlangte nach Individualität, das materielle und gesellschaftliche Sein aber erließ Restriktionen bzw. verharrte in den Konventionen traditioneller Machtausübung. Die Demokratie, kaum wiederentdeckt, wurde zur manipulativen Worthülse für Interessenvertreter unterschiedlichster Ideologien. Echte Handlungs- und Wahlmöglichkeiten blieben begrenzt. Wir erleben im Zeitalter der Digitalisierung heute Ähnliches. Dort, wo sich Freiheitsgrade auftun und individuelle Möglichkeiten entwickeln, werden diese bewusst oder unbewusst miss-braucht und in Folge erneut restriktiv eingeengt.

In einem raschen Wandlungsprozess verändert sich durch verschiedene Einflüsse die sinnliche und rationale Wahrnehmung. So spielt das „Hören“ und „Sehen“ seit der Erfindung und massenhaften Verbreitung des Radios bzw. Fernsehens eine weitaus größere Rolle als „Riechen“ oder „Tasten“. Mithin sind unsere Anschauungen –  wobei  das Wort „Schauen“ ursprünglich weiter gefasst war als heute – korrumpiert. Auch mit dem „Schmecken“ ist es inzwischen nicht mehr weit daher. Flächen-deckend haben sich die Menschen auf technisch veränderte Grundnahrungsmittel eingelassen und damit stetig die Musterbilder der Vielfalt zugunsten uniformer (monotoner) Handelsprodukte mit inhaltlichen Fragmentierungen eingeengt. Damit ist „Krankheit“ als eine Seite des universellen Lernprozesses vorprogrammiert!

Mit allen rationalen und emotionalen Kräften die vergessenen bzw. fragmentierten  Musterbilder wiederherzustellen bzw. zu  entschlüsseln, dass ist es, was man darauf abstellend „Heilen“ nennt. Es ist weit mehr als der chirurgische Eingriff oder die  Verabreichung  pharmazeutischer Mittel, sondern die mit dem Patienten vorgenommene Ableitung lebensrelevanter Fragestellungen über die zurück-gelegte bzw. verbleibende Lebenszeit. Es ist integrative Auffrischung von Musterbildern im fragmentierten Daseinsmuster und damit eine Art feinsinnige Restaurierung verlorengegangener Feldstrukturen.

Alles in Allem bleiben diese Versuche ein Akt der Kunst, welcher eine neue, abstraktere Lebens-wirklichkeit auf höherer Ebene schafft. Der Gedanke des „Erhebenden“ in echter Kunst begründet sich darin. Hahnemann – als Dialektiker – hat sein Lebenswerk deshalb ganz natürlich „Organon der Heilkunst“ genannt.

Die Homöopathie arbeitet dialektisch. Sie stellt zur Definition der Antagonisten die notwendigen Fragen „was“, „wann“, „wie“, „wo“, „wer“, „warum“ und „weshalb“. Und sie leitet innerhalb der Betriebsführung des Organismus Reaktionen ein, die durch ihre Passfähigkeit (Symptomenähn-lichkeit) zum Vermittler für weitere innere und äußere Behandlungsschritte werden. Die Quantität und vor allem Qualität der ihr verfügbaren Arzneimittelbilder, hat sich über die Zeit deutlich vermehrt. Durch die Anwendung von Findhilfen, wie dem Computer, sind sowohl die Materia medica, wie auch die Repertorien heute wesentlich besser handhabbar.

Nicht so recht wahrgenommen haben die meisten Homöopathen freilich, dass sie Teil eines großen gesellschaftlichen Wirkungsraumes sind, der seine Informationsprozesse auf der Grundlage der Dialektik (Rede- Gegenrede; Ursache-Wirkung, eben von Gegensatzpaaren) betreibt. Mithin sind Patient, Therapeut und übrige Gesellschaft im geschichteten, biokybernetisch System räumlich verkoppelt. Diese wechselseitige Kopplung ist  kein Problem an sich, sie wird erst dann zu einem, wenn man deren Einfluss auf den Heilungserfolg vernachlässigt. Dieser kann sowohl positiv als auch negativ ausfallen und wird nicht immer nur auf das Verhältnis von Behandler und Behandeltem einzuengen sein.  Insofern wird sich die Gemeinschaft der Homöopathen in naher Zukunft um den Preis ihrer eigenen Existenz nicht mehr aus den großen gesellschaftlichen Debatten zur Entwicklung des Lebens heraushalten können.

Als Beispiel dafür soll die Wirkung von phosphorhaltigen Insektiziden, Pestiziden, Tensiden in Waschmitteln oder Weichmachern von Kunststoffen, ganz krass aber in chemischen Kampfstoffen an-diskutiert werden. Diese Stoffe verändern unsere genetische Grundkonstitution über die Desoxy-ribonukleinsäure und führen zu extremen Veränderungen unserer Lebenswirklichkeit. Wenn der indische Autor Mithra in seinem Bestseller „Zeitalter des Zorns“ nun die Verletzlichkeiten und zornauslösenden Ressentiments der gegenwärtigen Welt analysiert, so bespricht er indirekt auch die hochgradig krebsauslösenden Erscheinungen derselben. Homöopathen wissen, dass eines der bedeutendsten Krebsmittel Phosphor ist. Sie wissen aber auch, dass gerade Krebspatienten vielfach kaum identifizierbare Lokalsymptome aufweisen, was durch die weite Verbreitung phosphorhaltiger Produkte über längere Zeiträume mehr als erklärlich ist.

Der Satz „Wer heilt hat recht“, der so lange Trost und Selbstgewissheit für die Homöopathen bedeutete, wird heute in dem Maße karikiert, in dem schrille Obertonschwingungen (z.B. Funkwellen oder elektromagnetische Wirkungen massenhaft eingesetzter Chemikalien) in der technisierten Gesellschaft quasi miasmatisch den Grundsockel individueller Schwingungsmuster des Patienten beschädigen. Dieser Zustand ist bedrohlicher als fragmentierte Nahrung oder schlechtes Wasser,  weil man ihm in der Regel kaum ausweichen kann. Damit hilft auch das gut gewählte Konstitutionsmittel nicht mehr zuverlässig, der Behandler verliert an Glaubwürdigkeit, die Homöopathie kann sich nicht aus ihrer verlässlichen Basis heraus immer neu begründen. Diese beschreibt nach allgemeingültigen, biokybernetischen Maßstäben ein flächig-horizontales System geringer Reichweite. Hahnemann selbst hat durch seine C- und Q-Potenzen diese Maßstäbe erheblich geweitet. Er hat sie in ein räumlich-vertikales System integriert.

Eine geistig-vertikale, über mehrere Terrains greifende Wirkung kann allerdings nur die Dialektik, als übergeordnetes Gesamtsystem, beschreiben. Dieser „Kunst“ ist es gegeben, aus Widersprüchen bestehender Quantitäten eine neue Qualität zu schaffen, die erhebt, anstatt herabzuziehen. Genau darin besteht auch der Unterschied von „Kunst“ und „Machwerk“ oder gar „Provokation“.

Natürlich erregen Machwerk und Provokation die Gemüter, im Gegensatz zur Kunst werden die aufgegriffenen Widersprüche aber nicht mit einem Gewinn an Freiheitsgraden für den Einzelnen oder noch besser der Gemeinschaft überwunden.

Eine Menschheit, die durch rabiate Eingriffe tagtäglich um die Wahlfreiheit aus dem Artenreichtum und der Vielfalt der Natur beschnitten wird – Tausende Tier- und Pflanzenarten verschwinden z.B. rasant zugunsten einer monotonen Technokultur – kann nur „verdummen“. Sie muss es förmlich, weil die verkleinerte Zahl von Gegensatzpaaren in der Sinneswahrnehmung, ganze Organe verkümmert und die dem genetischen System innewohnende Dialektik der Entschlüsselung nicht mehr trainiert. Die Integration von „Fremden“ wird hierdurch zwangsläufig ebenfalls zum Fremd-wort, aber das spüren wir in einer immer fremdenfeindlicheren Welt ja permanent.

Was aber ist Dialektik anderes als die gekonnte Auflösung von Widerspruchspaaren?                         Wir kennen davon unendlich viele: wie kalt-warm; positiv-negativ; stark-schwach; grob-sanft …  . Verallgemeinernd lassen sich Widersprüche letztlich auf die wertungsfreie Gegenüberstellung von plus und minus reduzieren. Sie sind das Produkt der Differenzierung oder sprachlich etwas grober  der Spaltung bis zum Vorliegen freier (radikaler) Ladungsträger. In der Gesellschaft sprechen wir in diesem Fall von Extremismus. Durch Integration lassen sich die auf einen Grenzwert zulaufenden Differenziale zu einer neuen, künstlichen Einheit verbinden, die eine Näherung an die durch diskrete Punkte festgemachte Realität ermöglichen. Wir wissen davon aus der Mathematik. Und wir wissen, dass solche Näherungen wirklich nur Kunstprodukte sind. Sie sind gekonnte Brückenschläge über das Ödland des Unbekannten bzw. Vergessenen. Kunst sucht nicht die Destruktion, sondern das einer Sache innewohnende Konzept und das auf möglichst vielen Ebenen.

Interessant ist, dass im Differenzial wie in der Integration das Thema Freiheit verankert ist – einmal die Freiheit des Ladungsträgers als Objekt größtmöglicher Individualisierung, zum anderen der Freiheitsgrad einer höheren, vergesellschafteten Ordnung. Daraus offenbart sich uns schon, was Leben so spannend macht. Beide haben eine unbedingte Berechtigung. „Plus“ und „Minus“ können nur miteinander bestehen und nicht gegeneinander. Nur wenn der Strom zwischen den gegensätzlichen Polen fließt, entsteht in einer Lampe Licht, erwärmt sich die Heizleitung oder bewegt sich der Motor.

Constantin Hering hat mit der Aussage „Die milde Macht ist groß“ einstmals die kleine, unter-schätzte Homöopathie gepriesen. Die Informationstechnik führt uns nun in einen neuen, großen Wirkungsraum ein. Sie hat im Sturm die Welt erobert. Allein, sie wird zur lebensbedrohlichen Hydra, wenn es nicht gelingt, ihren technischen Alleinanspruch zu zügeln. Dieser begründet sich sehr flach, etwa durch „höher“, „weiter“, „schneller“. Sinntiefe im biologischen Kontext besitzt er nicht. Insofern ist es dem biologischen Wesen Mensch vorbehalten,  über die Vorzüge und Nachteile der IT gleicher-maßen zu integrieren und das Produkt dieser Synthese zum Ausgangspunkt bzw. Korrektiv einer sich entwickelten Geisteswelt zu machen.

Wie kann man sich die aus These und Antithese herausgearbeitete Synthese, jene Kunst, die offenbar nicht jeder zu vollbringen vermag, im praktischen Leben vorstellen und welchen Platz nimmt die Homöopathie als Methode bei der Verdeutlichung der Vorstellungen ein?

Wenn es um Widerspruchspaare geht, die aus der Positionierung zu Problemstellungen entspringen, dann geht es auch um Polarisierung und mit hoher Gewissheit um atmosphärische Aufladung, die es knistern lässt, wenn man ihr nicht mit geeigneten Mitteln beikommt. Im Endzustand schlagen Blitze, gleich einer Funkenentladung im Gleichstromkreis. Dann war die Spannung so hoch, dass sie die isolierenden Zwischenschichten, welcher Beschaffenheit auch immer, durchbrochen hat. Gesellschaftlich ist der bürgerliche Mittelstand eine solche Zwischenschicht, die unkontrollierte Entladungen dämpft, wenn sie dazu geistig und materiell selbst noch im Stande ist. Der Pflege dieser Schicht sollte heute politisch größte Aufmerksamkeit gewidmet werden und das nicht nur im libertären sondern auch im bildungsbürgerlichen Sinne.

Es ist nun an jedem selbst, Problemstellungen einzugrenzen und die damit verbundenen Spaltungs-prozesse bzw. Aufladungen zu minimieren. Wir können z.B. privat versuchen, Funkwellen aus dem Wege zu gehen. In hoch integrierten Gesellschaftssystemen gelingt das durch die Verschränkung der mit-, neben- und übereinander agierenden Regelkreise allerdings kaum. Und wenngleich uns nur Anteile von elektromagnetischen Schwingungen bzw. Feldstrukturen treffen, so tragen sie doch unweigerlich dazu bei, unsere ureigenen biologischen Grundmuster zu verstimmen. Was also sollten wir tun? Wir müssen sehen, wie wir aus den Vor- und Nachteilen natürlicher und anthropogener Prozesse, die ja die eigentlichen Triebkräfte des Lebens sind, eine individuell und gesellschaftlich förderliche Entwicklung herbeiführen. Persönlich können wir die Lebenskraft stärken, d.h. die dämpfenden Zellstrukturen anregen, u.a. durch die Homöopathie. Gesellschaftlich muss es um die Begrenzung elektromagnetischer Schwingungen in einem Frequenzband gehen, in dem Menschen, physiologisch geschädigt werden. Die Bewahrung der Artenvielfalt bei Pflanzen und Tieren ist ebenso wichtig, weil sie die grundlegende regenerative Basis für unser aller Dasein darstellt und der Indikator dafür ist, wie weit sich der Spezies „Mensch“ vom tolerierbaren Normativ des Lebens entfernt hat.

Wenn die Grundkonstellation durch innere oder äußere Einflüsse gestört wird, lassen sich wahlweise das Individuum oder die Gesellschaft kalt, dann treten gehäuft Erscheinungen wie Burnout oder Autismus auf. In quasi epidemischen Belastungsfällen scheint die Gesellschaft ihre Basisschwingung nachhaltig verändert zu haben. Dann finden Viren und Bakterien, die sonst nur untergeordnete Bedeutung besitzen, zu ungeahnter Wirksamkeit. Verschwinden diese äußeren Belastungen pegelt sich die Basisschwingung wieder ein. Interessanterweise ist das Ohr – als sogenanntes Gleichgewichtsorgan – häufig betroffen, wenn es Dissonanzen in einer familiären oder gesellschaftlichen Grundstimmung gibt. Die Lunge reflektiert länger anhaltende Störungen im kommunikativen Prozess.  Eine Kriegs- oder Nachkriegszeit unter ihren spezifischen Bedingungen: Hungersnot, schlechte Trinkwasserverhältnisse, hygienische Belastungen, Stress ist aus den vorgenannten Gründen, eben der gestörten Kommunikation, oft Auslöser für Tuberkulose, welche als Phänomen verschwindet, sobald die objektiven Bedingungen mit ihren dazugehörigen Schwingungsmustern verändert worden sind.

Dass die Technisierung insbesondere die horizontalen, elektrischen Feldanteile beeinflusst, ist bekannt, dass „Gottverbundenheit“ die vertikale, magnetische Feldwirkung erhöht, ebenfalls. Nicht von ungefähr suchen wir Gott im Himmel. Letzteres macht, dass Beten tatsächlich aus Notsituationen heraushelfen kann, weil es individuell oder in Gruppen einen wichtigen Tonus der Grundstimmung verändert. Dass Liebe Gegensätze glücklich vereinigen kann, weist uns in die Richtung, in der Hilfe zu suchen ist, wenn es um gelungene Integration geht. Deshalb ist „Liebe“ auch tatsächlich eine Kunst. Nur jene Menschen, die in Liebe wirken, wirken bekanntermaßen über sich hinaus. Das Produkt einer solchen Interaktion ist etwas Schöpferisches, egal in welchem Bereich und mit welcher Intensität sich die Liebe artikuliert.

Ob es der kleinen Homöopathie gut tut, wenn sie ihr Wirkprinzip der Dialektik offenbart, bleibt dahingestellt. Sicher ist jedoch, dass ohne die Entwicklung und weitreichende Anwendung der Dialektik in der Gesellschaft, den Konflikten der Welt und des Lebens kaum beizukommen ist. Wirkliche Effizienzkriterien sind unter Berücksichtigung dieses Sachverhaltes nicht abzulehnen. Sie werden zu störendem Machwerk, wenn Sie lieblos und bürokratisch gehandhabt werden. Das aus innerer Betroffenheit und Liebe resultierende Votum Mahatma Gandhis hat Indien dazu geführt, die Medizin viel breiter und weniger kapitalorientiert aufzustellen, als westliche Länder es bei ihrem materiellen Reichtum vermochten. Noch heute verspürt man das. Seine Philosophie der Gewaltlosigkeit saty-agraha ist der Schlüssel, der einer konfliktüberladenen Welt schon vor mehr als 70 Jahren für ihr Weiterbestehen gereicht wurde. Diesen kleinen Trost in der Stunde der Wahrheit!

Dr.-Ing.  Helge Landmann

Meißen, 3-18