Ruinen sind manchmal kostbare Überbleibsel der Vergangenheit, Ruinen von Klosterkirchen ganz besonders. Sie sind Herzstücke der vormaligen Klosteranlagen. Hier Fragmente alter Altäre, Altar-konchen, Mensen vorzufinden, ist selten. Im Heilig-Kreuz-Kloster in Meißen wurden 1996 Teile der schon im 13. Jahrhundert entstandenen Kreuzaltarmensa im Obergeschoss der sogenannten Stifterempore freigelegt. Unter einem Erdhügel verborgen, blieben sie über mehr als 150 Jahre un-entdeckt. Eine letzte Nachricht darüber, dass es diesen Altar überhaupt gibt, stammt von Johann Friedrich Ursinus, der in einer umfangreichen Veröffentlichung über Heilig Kreuz aus dem Jahre 1776/87 auch den Kreuzaltar in der Oberkirche erwähnt.
Nach der Beseitigung des über viele Jahre ungehindert wuchernden Großgrüns und dem Abtrag der aufliegenden Erdschichten wurde deutlich, dass nicht nur Teile des kunstvoll profilierten Mensa-sockels bzw. Kernmauerwerks erhalten waren, sondern auch Abschnitte der anschließenden, wohl mittelalterlichen Wandputze.
Der Fund in seiner Gesamtheit gibt der Ruine von „Heilig Kreuz“ mehr als nur Architekturdetails zurück. Hier spürt man noch etwas vom Pulsschlag der Geschichte. Zweifellos, dieser Puls ist schwach und so nah am offenen Herzen, dass es empfindsame Menschen schauert.
Ihn unbeachtet zu lassen, war für niemanden denkbar.
Das Meißner Hahnemannzentrum hat in der Vergangenheit keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, wie wichtig die Geschichte der Liegenschaft ist. Hier kreuzten ehemals Handelswege, hier kreuzten sich aber auch Lebensbiografien bedeutender Persönlichkeiten, in den Räumen des Klosters fanden adlige und bürgerliche Frauen am Kreuz zusammen, später lagen hier Heeresverbände mit-einander im Kreuz bevor die Neuzeit über diesen Teil der Geschichtserfahrung hoffentlich letztmalig ein Kreuz geschlagen hat.
Dort, wo uns die Andacht des Lebens noch so unmittelbar anspricht, wie an den teilzerstörten Altarplätzen von Kreuzaltar und Altar „Unser lieben Frauen“ in Heilig Kreuz, sollte diese unsere unbedingte Aufmerksamkeit erlangen.
Als gemeinnütziger Verein haben wir schon vor Jahren Maßnahmen eingeleitet das Sakristeigewölbe, auf dem die Mensa des Kreuzaltars steht, umfangreich zu sichern. Dazu gehörte auch die Abdichtung gegen Niederschlagswasser. Mithin musste die verlorengegangen Kalotte des Liebfrauen-Altares wiederhergestellt werden, was im Jahr 2016 geschah.
Für den Kreuzaltar und die anschließende, sogenannte Dormitoriumstreppe, wurde eine Überdachung durch einen Artbaldachin entworfen. In Anbetracht der Geschichte des Ortes, der Gesamtästhetik und der Anschlüsse an die umliegenden Mauerkronen schien hier eine künstlerische Lösung ratsam.
Pate für das Schutzdach stand der älteste Traminerrebstock Sachsens am Gesindehaus der vormaligen Klostergärtnerei. So wie dieser die dortige Südwand schützt, sollte zukünftig ein Rebstock aus Cortenstahl wichtige Strukturen im Umfeld des Kreuzaltares schützen.
Der Meißner Metallgestalter Heiko Helm ist mit dem Auftrag der Umsetzung dieses Gedankens betraut worden.
Am 14. September 2017, am katholischen Feiertag der Kreuzeserhöhung, 800 Jahre nach der Verlegung der Klosterkirche an ihren heutigen Standort, ist die Einweihung des Kunstwerkes in größerem Kreise erfolgt. Wir hoffen sehr, dass der Gestaltungswille und die Feinsinnigkeit des Künstlers den für das Kloster wichtigen Platz in überzeugender Weise neu fasst. Eine Operation am offenen Herz denkmalpflegerischer Sicherungsbemühungen könnte damit zum glücklichen Ende finden.
Noch rechtzeitig vor der 800-Jahrfeier Klosterstandort Heilig Kreuz, konnten die Arbeiten an der künstlerischen Schutzüberdachung abgeschlossen werden.
Es scheint uns angeraten darüber, ob dieses Werk gelungen ist oder nicht, andere sprechen zu lassen. An dieser Stelle vielleicht den vormaligen Redakteur des Meißner Wochenkuriers Dr. Michael Eckardt, der in einem Beitrag vom 20. September schrieb: „ …. Im Zuge der Aufräumarbeiten wurden auch Fragmente des Kreuzaltars freigelegt und zugänglich gemacht. An diese Funde schloss sich die Frage nach geeigneten Schutzmöglichkeiten für dieses Objekt an. Die Antwort lautet ‚Durch Kunst am Bau‘, wofür der Meißner Metallbildner und Restaurator Heiko Helm einen Stahlbaldachin entworfen und installiert hat. Fünf Wochen benötigte der Künstler für den Aufbau der insgesamt gut 300 kg Stahl, die an nur wenigen Fixpunkten befestigt, eine staunend machende Altarschutzdachlösung präsentieren. Zuerst fällt das verwendete Material ins Auge, da hier kein glänzender Edelstahl zum Einsatz kommt, sondern wetterfester Corten-Stahl, dessen rotbraune Verwitterungsschicht gleichermaßen Beständigkeit und Vergänglichkeit zu einem stimmigen Bild zusammensetzt. Die großflächigen Bleche des den Altar überwölbenden Schuppendaches erinnern flüchtig an so manche Zwischenlösung für denkmalgeschützte Bauwerke. Bei näherem Hinsehen jedoch offenbart sich die organische Verwachsenheit der statischen mit den künstlerischen Details. Die Stützen der Dachkonstruktion nehmen die im Mittelalter beliebte Weinstocksymbolik auf und muten fast wie Bäume an, aus deren Astwerk ein geschlossenes Blätterdach erwächst. Sucht man nach Verleichbarem, kommt man zum Beispiel zu den katalanischen Architekten Antonio Gaudi, die sich an dessen Kirche Sagrada Familia (Barcelona) bewundern lassen. Hier wie dort gelingt die Transformation einzelner Elemente zu einem Kunstwerk, das einen bleibenden Eindruck hinterlässt.“
Der von Herrn Eckhardt so trefflich wahrgenommene Eindruck einer Zwischenlösung beim flüchtigen Hinschauen aus der Ferne – der beim näheren Betrachten in Bewunderung übergeht – ist aber noch nicht Endpunkt des künstlerischen Konzeptes. Dieses wird nach dem Willen der Initiatoren erst dann erreicht, wenn die Natur dieses Kunstwerk angenommen hat. Es ist nämlich geplant etwa 2/3 der Dachfläche aus Corten-Stahlblechen mit dem schon in Wartestellung befindlichen Efeu und wilden Wein übergrünen zu lassen.
Kunst – wenn sie gut ist – integriert, zieht Einzelstehendes kongenial zusammen, lässt daraus ein wertschätzendes, neues Bild entstehen. Die Natur bei diesem grandiosen Akt herauszulassen, wäre anmaßend. Sie in alle unsere Überlegungen mit einzubeziehen, ist die Philosophie der gerade angebrochenen Zeit und des Hahnemannzentrums.